Am Samstag war ich auf dem „Kirchentag“ der IELCH. Während der ILCH heute immer noch viele Gemeindeglieder angehören, die deutsche Vorfahren haben, besteht die IELCH zum Großteil aus Gemeinden (bis auf zwei), die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sind und deren Mitglieder aus der rein chilenischen oftmals auch sozial benachteiligten Bevölkerung stammen. Die Mitglieder der IELCH sind zum Großteil durch freie Wahl und nicht aufgrund der Familientradition ihrer Gemeinde beigetreten. In der lutherischen Kirche sehen sie oftmals auch eine Alternative zur katholischen Kirche, die in Chile immer noch sehr streng und autoritär ist und viel mehr Einfluss auf die Gesellschaft hat oder zu den Frei- und Pfingstkirchen, die ihnen vielleicht zu radikal sind und wo möglicherweise die theologische und intellektuelle Durchleuchtung vermisst wird. Die lutherischen Kirchen stellen aufgrund ihrer Zwischenstellung zw. katholischer Kirche und Freikirchen bzw. Pfingstkirchen eine weniger extreme Alternative dar.
Dass viele Mitglieder der IELCH nicht aus Traditionsgründen, sondern aus Interesse an der Theologie und den Veranstaltungen in ihren Gemeinden aktiv sind, konnte ich auf dem Kirchentag spüren. Die Delegierten der Gemeinden meldeten sich sehr eifrig zu Wort, stellten Fragen, entwickelten ihre Meinungen und machten Vorschläge zur Zukunft ihrer Kirche. Begeistert hat mich deren positive Sicht auf die eigene Situation. Auch wenn nicht alles so voran geht, wie es ideal wäre. So ist doch eine positive Einstellung die Grundlage dafür, dass sich etwas entwickeln bzw. weiterentwickeln kann. Die IELCH scheint (so habe ich es wahrgenommen) ihren Schwerpunkt auf Mission und Diakonie zu legen. An viele Gemeinden sind Missionsprojekte oder soziale Einrichtungen wie Kindergärten angeschlossen. Außerdem äußert sich die IELCH auch recht klar zu politischen Themen. Sie war die einzige Kirche, die sich für das Antidiskriminierungsgesetz ausgesprochen und für die Homosexuellen eingesetzt hat. Außerdem hat die IELCH als eine der wenigen Kirchen in Chile überhaupt drei Frauen im Pfarramt.
Die IELCH hat es nicht leicht, sie hat zwar genauso viele Gemeinden, wie die ILCH, aber die meisten Gemeinden haben wesentlich weniger Mitglieder, die oftmals ein geringeres Einkommen haben. Sie ist auf Fördermittel aus den USA und Deutschland angewiesen.
Auf dem Kirchentag der IELCH gab es vormittags einen Grundlagenvortrag zur Ekklesiologie mit Gruppendiskussionen zu den Erfahrungen in der eigenen Gemeinde mit den Extremen Einheit – Pluralismus, Kongregationalismus - Zentralismus, starker Pfarrer – starke Beteiligung der Laien. Der Vortrag hat auf angenehme und interessante Art examensrelevantes Wissen geboten. Für mich ist es schön, dass ich jetzt auch die spanischen Begriffe kenne. Durch die Gruppendiskussionen konnten die Gemeindemitglieder dieses Wissen mit den eigenen Erfahrungen verbinden. Am Nachmittag wurde ein Gemeinde- bzw. Kirchenaufbaukonzept von Christian Schwarz vorgestellt. Auch hier wurde wieder in Gruppen gearbeitet. Gemeindenglieder aus in ähnlichen Situationen fanden sich zusammen und sollten Hindernisse, wie auch Potentiale für das Wachsen ihrer Gemeinden zusammentragen. Zudem wurde auch die Zusammenarbeit mit der ILCH als Wachstumsfaktor betrachtet.
Die Wiedervereinigung der beiden lutherischen Kirchen ist ein eigenes Thema. Ich persönlich kann mittlerweile sehr gut nachvollziehen, warum sich die Wiedervereinigung langsamer gestaltet als gedacht. Die Vorstellungen und auch die Situationen der Gemeindeglieder sind zum Teil sehr unterschiedlich. Ich glaube, dass vor allem die junge Generation und Menschen, wie ich, von außen kommend, welche wesentlich unbefangener sind, dazu beitragen können, dass sich die Beziehungen zwischen beiden Kirchen wieder intensivieren. Mein Mentor hat sich vorgenommen vor allem mit der Versöhnungsgemeinde, die ich noch von meinem Praktikum 2008 kenne, gemeinsame Veranstaltungen zu initiieren, da diese Gemeinde von ihrer Situation her der ILCH am ähnlichsten ist. An dieser Stelle müsste ich nun ausführen, warum denn die lutherische Kirche in Chile überhaupt gespalten ist und immer noch zwei Wege geht. Ich will dies grob in wenigen Sätzen anreißen, möchte aber zu bedenken geben, dass ein kurzer schematischer Abriss schnell zu Vorurteilen führen kann. (Ein in dieser Fragestellung sehr engagierter Kommilitone, Daniel Lenski, hat seine Examensarbeit darüber geschrieben. Er schildert die Umstände und Gründe der Spaltung auf sehr sensible Weise. Er wird seine Arbeit hoffentlich bald veröffentlichen…) Ich habe es bis jetzt so verstanden: In den 70er Jahren fühlte sich die Mehrheit der deutschstämmigen Gemeinden nicht mehr vom damaligen Probst der Kirche, Helmut Frenz, vertreten. Vermutlich ein Grund dafür war sein Einsatz zum Schutz politisch Verfolgter in der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet. Man hatte den Eindruck, dass Helmut Frenz nach dem Militärputsch Partei für eine politische Seite ergriffen hatte, während er sich zu den Benachteiligungen, welchen sich einige Kirchenmitglieder unter den Reformen Allendes ausgesetzt sahen nicht geäußert hatte. 1975 trennten sich fast alle deutschstämmigen Gemeinden von den anderen Gemeinden und gründeten eine eigene Kirche, die ILCH. Die politisch verschiedenen Ansichten und Blickwinkel auf die Geschichte Chiles stehen oftmals in Zusammenhang mit der eigenen Herkunft und Situation und erschweren das Verständnis der anderen Position. Noch heute ist die chilenische Gesellschaft, was die jüngste Geschichte des eigenen Landes betrifft gespalten und das durch die lutherische Kirche hindurch. Doch die Grenzen verschwimmen in den Kirchen immer mehr. Die einen sind "nicht so und die anderen so". Das gibt Hoffnung.
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