Gestern hatte ich die Gelegenheit die Schaltstelle zwischen
chilenischer Regierung und allen Religionen, die in Chile praktiziert werden,
kennenzulernen. Eigentlich wollte ich wissen, wie die Bedingungen und
Voraussetzungen sind, die man braucht, um Religionsunterricht in chilenischen
Schulen erteilen zu können. Viele Pfarrer hier sind auch Religionslehrer oder
gehen noch einem anderen Beruf nach. Mein Mentor hatte mir empfohlen Juan
Wehrli, den berühmtesten Lutheraner Chiles zu kontaktieren. Er ist Historiker
und Politiker und war zudem Pfarrer in der ILCH gewesen. Seit 2010 kümmert sich um alle
Angelegenheiten zw. Staat und den Religionen. Als Reaktion auf meine Anfrage in
Sachen Religionsunterricht erhielt ich gleich eine Einladung, sein Büro und
seine Aufgaben kennenzulernen. Die „ONAR“ (Oficina Nacional de Asuntos
Religiosos = Nationales Büro für religiöse Angelegenheiten. In Chile gibt es so viele herrliche Abkürzungen) liegt nur einen
Katzensprung vom Präsidentenpalast entfernt. Für mich war es sehr spannend
jemanden kennenzulernen, der für eine Regierung arbeitet.
Der Präsidentenpalast "La Moneda" |
Juan Wehrli und sein Büro stehen in Kontakt mit den
Vertretern aller Religionen hier in Chile, aber auch mit den einzelnen
Mitarbeitenden und Verantwortlichen in den religiösen Gemeinschaften. Er nimmt
repräsentative Aufgaben wahr, klärt Anfragen und Unsicherheiten in gesetzlicher
Hinsicht, diskutiert und nimmt die Meinungen der einzelnen Religionen wahr. Als
die Regierung das Gesetz zur Antidiskriminierung beschloss, wurden zum Beispiel
alle Vertreter der Religionen eingeladen, um das Gesetz vorzustellen und die
Vertreter hatten die Gelegenheit ihre Anfragen und Kritik zu äußern.
Juan Wehrli betonte besonders, dass Chile ein laizistischer
Staat ist. Darüber hatte ich mir bis dahin gar keine Gedanken gemacht. Denn
Chile ist ja ein sehr religiöses Land. Noch immer sind ca. 67% der Einwohner
Katholiken und auch wenn deren Zahl abnimmt, so steigt die Zahl der
Protestanten derzeit ca. 15%, darunter viele Freikirchler und Angehörige der
Pfingstbewegung. Weil das Katholischsein aber nicht mehr selbstverständlich
ist, ist es wichtig, dass Religion und Staat getrennt sind, damit sich niemand
bevor- oder benachteiligt fühlt. Da die evangelischen Kirchen an Bedeutung
gewinnen, hat der derzeitige Präsident 30 Vereinbarungen mit den Evangelischen
Kirchen getroffen und will diese nun umsetzen. Auch hier spielt die „ONAR“ eine
wichtige Rolle bei der Vermittlung und Ausführung dieser Bestimmungen.
Juan Wehrli ist eigentlich Presbyterianer und Calvinist, wie
er selbst sagt und dabei großer Fan von Max Webers Theorie des Einflusses des
Protestantismus auf den Kapitalismus. Seiner Meinung nach steht Chile
wirtschaftlich gar nicht so schlecht dar, weil es doch einen gewissen
protestantischen Einfluss gibt. Der Protestantismus, so Wehrli würde die
Menschen viel mehr zur Verantwortung für ihr eigenes Leben und Wohlergehen
erziehen, während der Katholizismus ihnen diese Verantwortung abnimmt. Das
Desinteresse an Eigenverantwortung wäre darum auch immer noch groß in Chile,
auch wenn sich dies durch die evangelischen Kirchen ändert. Leider würden aber
viele Pfingst- und Freikirchen nicht zum eigenständigen Denken anregen und bei
einem Autoritätsdenken haften bleiben. Eine extreme These, die zur Diskussion
und einen genaueren Blick einlädt.
Und wie steht es nun mit den Möglichkeiten Religionsunterrichts
zu erteilen? - Bis 2014 wäre das aufgrund meines Studiums und meiner Arbeit in
einer Kirche, durch Erlaubnis der Kirche und den Erhalt eines Zertifikats
möglich. Ab 2014 ändern sich die Bedingungen. Dann müsste ich, wenn ich es
richtig verstanden habe, ein abgeschlossenes Pädagogikstudium in
Grundschullehramt, oder auf dem Weg hin zu einem Pädagogikstudium sein. Leider
war mir nicht klar, ob es sich dabei„nur“ um ein Studium der didaktischen und
pädagogischen Kenntnisse handelt oder ob ich auch ein Studium der Grundfächer
absolvieren müsste. Mein Mentor erzählte mir, dass der Termin der neuen
Bedingungen immer wieder verschoben wurde. Ich bin gespannt und werde mich wohl
auf die Suche nach Unis begeben müssen.
Ich hoffe, Du bekommst es hin, Reli unterrichten zu können!!! Gruß nach Chile, Enno
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