Wahlwerbung und schöne Berge |
Schon viele Wochen haben die
riesigen Schilder darauf hingewiesen. Am Sonntag den 28. Oktober war es dann
endlich soweit. Es gab Kommunal- und
Bürgermeisterwahlen. Zum ersten Mal war es den Chilenen freigestellt, ob sie
von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen werden oder nicht. Ich war ein bisschen
schockiert. Wie kann man denn jemanden zwingen wählen zu gehen? Nicht für einen
Kandidaten zu stimmen ist doch auch eine Art von Ausdruck der eigenen Meinung.
Bisher war es in Chile so
gewesen, dass man sich wenn man wählen wollte in das Wahlregister eintragen
musste. Wer nicht drin war konnte und brauchte natürlich auch nicht wählen
gehen. Wer aber einmal drin stand war verpflichtet und musste bei Nicht-Abgabe
der Stimme eine Strafe zahlen. Als das chilenische Volk 1989 aufgefordert war
für oder gegen eine weitere Periode de Regierung unter Pinochet zu stimmen,
hatten sich natürlich viele ins Wahlregister einschreiben lassen, um dafür oder
dagegen zu stimmen.
Seid dieser Wahl ist jeder
Wahlberechtigte in Chile im Wahlregister registriert.
Nun war der Aufschrei nicht
gerade klein, weil nicht mehr als 43,1% der 13.404.084 Wahlberechtigten (so meine Quelle aus der
Internetseite der Tageszeitung „LA TERCERA“) gestern zu den Wahltischen und
Kabinen gingen. Mir scheint noch nicht ganz klar zu sein, ob dieser Prozentsatz
seine Richtigkeit hat, weil auch schon längst Verstorbene, wie etwa der
Expräsident Salvador Allende im Wahlregister auftauchten.
Nun kann man hin- und
herüberlegen, warum der Prozentsatz so niedrig war. Sind die, die vorher nicht
im Register waren, wie gewöhnlich nicht zur Wahl gegangen? Haben die, die sonst
immer gezwungen wurden, ihr neues Recht genutzt und sind mal nicht hingegangen?
Hat die Regierung zu wenig Werbung gemacht? Haben sich die Wähler nicht um die
Kandidaten bemüht? (An riesigen Schildern auf der Straße, Hubkonzerte, Fahnen,
Aufklebern und Werbung hat es meiner Meinung nicht gemangelt……) Wurden die
Wähler nicht richtig darüber informiert, wie und wo sie wählen müssen? (Obwohl
ich nicht Wahlberechtigte bin, wusste ich, dass man alle Infos auf einer
Internetseite finden kann…Ich wusste sogar, dass man mit seinem abgelaufenen
Personalausweis wählen gehen kann.) Ich fand es schon interessant, dass hier in
Chile, nicht wie in Deutschland jeder Wahlberechtigte eine Wahlkarte mit
Einladung und allen Infos zugesandt bekommt, sondern die Infos nur im Internet
durch seine Ausweisnummer findet. Der Bürger muss sich also selbst bewegen…
Spannend waren auch die
Fernsehübertragungen. Dort erfuhr ich, dass die Verantwortlichen in den
Wahllokalen oder besser „Wahltischen“ einfach unter den Wahlberechtigten
festgelegt werden. Und da kann es jeden treffen, auch berühmte Leute, wie etwa
den Komiker Rodrigo Salinas, besser bekannt als „Ratoncito“ (Rättchen), der
ganz verzweifelt versuchte die Mitbürger, welche an seinem Tisch wählen
mussten, dazu zu überreden sich doch noch aufzuraffen.
Die Wahlen wurden auch zu anderen
Formen von Meinungsfreiheit genutzt. Vor dem Stadion, in welchem zu Beginn der
Militärdiktatur viele Menschen umkamen, gab es eine Art Flashmob: Menschen in
Kleidung der Siebziger und Achtziger Jahre knieten stumm, die Hände im Nacken
auf dem Boden. Die Aktion war vermutlich ganz bewusst interpretationsoffen. Die
Aktivisten äußerten sich nicht. Dass es sich um ein menschenrechtliches Thema
handelte war natürlich offensichtlich. Auch auf eher unschöne Art wurde Unmut
geäußert. Als der noch amtierende Bürgermeister des florierenden Stadtteils
Providencia, Christian Labbé, auf dem Weg zum Wahltisch war, wurde ihm zugerufen
Mörder zu sein, er wurde zu dem verbal angegriffen und es kam zu verschiedenen
Rangeleien. Christian Labbé war Agent der chilenischen Geheimpolizei (DINA)
gewesen. Die DINA war von Augusto Pinochet eingerichtet wurden und 1973 bis 1977
das Organ der Geheimpolizei. Sie ermöglichte die Diktatur und viele
Menschenrechtsverletzungen. Als feststand, dass Christian Labbé seiner
Herausforderin unterlegen war, meinte er, dass der Hass gesiegt hatte. Dies
ist, denke ich nur ein Beispiel, wie komplex der Konflikt zwischen politsch
links und rechts in Chile ist.
Eine Neuheit war es für mich als Leo
meinte, dass es einen Unterschied macht, ob man gar nicht erst zur Wahl geht
oder ob man den Wahlbogen durch falsches Vorgehen oder Bildchen annulliert, für
mich war das immer das Gleiche: eine verlorene Stimme, aber vermutlich macht es
in der Wahlbeteiligung einen Unterschied.
Nun will vielleicht noch einer
wissen, wie die Wahlen nun ausgingen: Dafür hatten die jeweiligen Parteichefs
der bedeutenden Parteien ihre eigene Interpretation. Mir fiel schon auf, dass
nicht wenige Kandidaten aus eher linken Oppositionensparteien die Wahlen
gewinnen konnten. Interessant ist es auf alle Fälle, dass es in zwei Kommunen
Santiagos, die auch im Fokus der Wahlen waren, im Zentrum und wie schon genannt
in Providencia (Da wo eines der Kirchgebäude meiner Gemeinde sehr günstig
gelegen ist.) einen Wechsel gegeben hat. In beiden Kommunen waren bisher Männer
von der rechten Regierungspartei UDI (Union Democrata Independiente) Bürgermeister
gewesen. Nun wird dort die nächsten vier Jahre je eine Bürgermeisterin aus
Oppositionsparteien die Geschicke in die Hand nehmen.
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