Montag, 29. Oktober 2012

Bürgermeister- und Kommunalwahlen in Chile




Wahlwerbung und schöne Berge
Schon viele Wochen haben die riesigen Schilder darauf hingewiesen. Am Sonntag den 28. Oktober war es dann endlich soweit. Es gab Kommunal-  und Bürgermeisterwahlen. Zum ersten Mal war es den Chilenen freigestellt, ob sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen werden oder nicht. Ich war ein bisschen schockiert. Wie kann man denn jemanden zwingen wählen zu gehen? Nicht für einen Kandidaten zu stimmen ist doch auch eine Art von Ausdruck der eigenen Meinung.
Bisher war es in Chile so gewesen, dass man sich wenn man wählen wollte in das Wahlregister eintragen musste. Wer nicht drin war konnte und brauchte natürlich auch nicht wählen gehen. Wer aber einmal drin stand war verpflichtet und musste bei Nicht-Abgabe der Stimme eine Strafe zahlen. Als das chilenische Volk 1989 aufgefordert war für oder gegen eine weitere Periode de Regierung unter Pinochet zu stimmen, hatten sich natürlich viele ins Wahlregister einschreiben lassen, um dafür oder dagegen zu stimmen.
Seid dieser Wahl ist jeder Wahlberechtigte in Chile im Wahlregister registriert.
Nun war der Aufschrei nicht gerade klein, weil nicht mehr als 43,1% der 13.404.084  Wahlberechtigten (so meine Quelle aus der Internetseite der Tageszeitung „LA TERCERA“) gestern zu den Wahltischen und Kabinen gingen. Mir scheint noch nicht ganz klar zu sein, ob dieser Prozentsatz seine Richtigkeit hat, weil auch schon längst Verstorbene, wie etwa der Expräsident Salvador Allende im Wahlregister auftauchten.
Nun kann man hin- und herüberlegen, warum der Prozentsatz so niedrig war. Sind die, die vorher nicht im Register waren, wie gewöhnlich nicht zur Wahl gegangen? Haben die, die sonst immer gezwungen wurden, ihr neues Recht genutzt und sind mal nicht hingegangen? Hat die Regierung zu wenig Werbung gemacht? Haben sich die Wähler nicht um die Kandidaten bemüht? (An riesigen Schildern auf der Straße, Hubkonzerte, Fahnen, Aufklebern und Werbung hat es meiner Meinung nicht gemangelt……) Wurden die Wähler nicht richtig darüber informiert, wie und wo sie wählen müssen? (Obwohl ich nicht Wahlberechtigte bin, wusste ich, dass man alle Infos auf einer Internetseite finden kann…Ich wusste sogar, dass man mit seinem abgelaufenen Personalausweis wählen gehen kann.) Ich fand es schon interessant, dass hier in Chile, nicht wie in Deutschland jeder Wahlberechtigte eine Wahlkarte mit Einladung und allen Infos zugesandt bekommt, sondern die Infos nur im Internet durch seine Ausweisnummer findet. Der Bürger muss sich also selbst bewegen…
Spannend waren auch die Fernsehübertragungen. Dort erfuhr ich, dass die Verantwortlichen in den Wahllokalen oder besser „Wahltischen“ einfach unter den Wahlberechtigten festgelegt werden. Und da kann es jeden treffen, auch berühmte Leute, wie etwa den Komiker Rodrigo Salinas, besser bekannt als „Ratoncito“ (Rättchen), der ganz verzweifelt versuchte die Mitbürger, welche an seinem Tisch wählen mussten, dazu zu überreden sich doch noch aufzuraffen. 

Die Wahlen wurden auch zu anderen Formen von Meinungsfreiheit genutzt. Vor dem Stadion, in welchem zu Beginn der Militärdiktatur viele Menschen umkamen, gab es eine Art Flashmob: Menschen in Kleidung der Siebziger und Achtziger Jahre knieten stumm, die Hände im Nacken auf dem Boden. Die Aktion war vermutlich ganz bewusst interpretationsoffen. Die Aktivisten äußerten sich nicht. Dass es sich um ein menschenrechtliches Thema handelte war natürlich offensichtlich. Auch auf eher unschöne Art wurde Unmut geäußert. Als der noch amtierende Bürgermeister des florierenden Stadtteils Providencia, Christian Labbé, auf dem Weg zum Wahltisch war, wurde ihm zugerufen Mörder zu sein, er wurde zu dem verbal angegriffen und es kam zu verschiedenen Rangeleien. Christian Labbé war Agent der chilenischen Geheimpolizei (DINA) gewesen. Die DINA war von Augusto Pinochet eingerichtet wurden und 1973 bis 1977 das Organ der Geheimpolizei. Sie ermöglichte die Diktatur und viele Menschenrechtsverletzungen. Als feststand, dass Christian Labbé seiner Herausforderin unterlegen war, meinte er, dass der Hass gesiegt hatte. Dies ist, denke ich nur ein Beispiel, wie komplex der Konflikt zwischen politsch links und rechts in Chile ist.

Eine Neuheit war es für mich als Leo meinte, dass es einen Unterschied macht, ob man gar nicht erst zur Wahl geht oder ob man den Wahlbogen durch falsches Vorgehen oder Bildchen annulliert, für mich war das immer das Gleiche: eine verlorene Stimme, aber vermutlich macht es in der Wahlbeteiligung einen Unterschied.
Nun will vielleicht noch einer wissen, wie die Wahlen nun ausgingen: Dafür hatten die jeweiligen Parteichefs der bedeutenden Parteien ihre eigene Interpretation. Mir fiel schon auf, dass nicht wenige Kandidaten aus eher linken Oppositionensparteien die Wahlen gewinnen konnten. Interessant ist es auf alle Fälle, dass es in zwei Kommunen Santiagos, die auch im Fokus der Wahlen waren, im Zentrum und wie schon genannt in Providencia (Da wo eines der Kirchgebäude meiner Gemeinde sehr günstig gelegen ist.) einen Wechsel gegeben hat. In beiden Kommunen waren bisher Männer von der rechten Regierungspartei UDI (Union Democrata Independiente) Bürgermeister gewesen. Nun wird dort die nächsten vier Jahre je eine Bürgermeisterin aus Oppositionsparteien die Geschicke in die Hand nehmen.

Freitag, 19. Oktober 2012

Pfarrkonvent und Kirchentag



Kirche von Osorno
Ich bin vor einer Woche Donnerstag mal wieder in den Süden gefahren. Es ist schon ganz praktisch. Abends setzt man sich in den Bus, schläft sofort ein (ich zumindest) und am nächsten Tag wacht man 1000 km südlich von Santiago wieder auf. Diesmal ging meine Reise nach Osorno, einer Stadt in einer Landwirtschaftregion. Außer Santiago ist sie die einzige Stadt, wo es Gemeinden von ILCH und IELCH gibt. Zunächst fand dort das Treffen aller Pfarrer der ILCH statt. Ich hatte erst kurz vor meiner Ankunft in die Einladung des Bischofs geschaut und festgestellt, dass ich eine Andacht halten sollte. Ich habe dann meine Kollegen zu ein paar Taizéliedern animiert und eine sehr kurze spontane Reflexion zu Psalm 91 gemacht. Ich denke, es tut den Pfarrern sehr gut, wenn sie sich ab und an mal zu Gesicht bekommen und austauschen. Probleme können direkt besprochen werden, Beobachtungen bestätigt werden und man stärkt sich gegenseitig.
Nun gibt es auch einen neuen Kollegen, der sich vorgestellt hatte. Er ist aus der Bayrischen Landeskirche von Mission Eine Welt für ein halbes Jahr entsandt wurden. Er wird sich um die Gemeinde in Puerto Montt kümmern.
Wir hatten die Gelegenheit die erste Hälfte eines Dokumentarfilmes über die IELCH und ILCH anzusehen, der gerade gedreht wird. Dort wird die Geschichte der lutherischen Kirchen in Chile dargestellt und ihre Situation heute geschildert, mit Zeitzeugen und lebendigen Eindrücken. Ich bin sehr gespannt, wann der Film fertig sein wird. Ich denke er kann auch zur Annäherung beider Kirchen und zum Verständnis überhaupt dieser Kirchen beitragen.

Auswahl der Bibelfigur
Am letztes Wochenende fand dann der Kirchentag in Osorno statt. Bisher war der Kirchentag immer nur ein Treffen von wenigen Vertretern der Gemeinden gewesen. Zu meist nur eine Veranstaltung, die den ganzen Tag stattfand. Dieses Jahr fand er zum ersten mal zwei Tage statt mit einem für die kleine Kirche reichen Angebot von Vorträgen, Workshops, Andachten, Chor- und Bandkonzerte, Anfangs- und Abschlussgottesdiensten, Veranstaltungen für Jung und Alt. Die zwei Tage standen unter dem Motto „Alma bendice al Senior“ – „Lobe den Herrn meine Seele“ nach Psalm 103 und dem bekannten Lied „Lobe den Herren den himmlischen König der Ehren“. Viele Veranstaltungen hatten etwas mit Musik zu tun, das Jahr 2012 der Lutherdekade unter Motto Reformation und Musik steht. So gab es einen Gitarrelernworkshop, ein Liederlernworkshop, Konzerte, der Bischof predigte über die Schätze und die Veränderung des christlichen Liedgutes, ich habe eine Taizéandacht angeboten… Ich war überrascht, dass diese auch unter den älteren Teilnehmern auf Begeisterung stoß. Meine Kollegen hatten mich auch gebeten etwas zum Thema Frauen in der Bibel zu machen. Ich mich dann entschieden ein paar interessante Frauenfiguren auszuwählen. Die Teilnehmer wurden dazu aufgefordert sich an Hand durch Bilder und kurze Sätze zu den Frauen eine Figur auszuwählen. Dann sollten sie entsprechende Bibelstellen alleine oder in der Gruppe zu lesen und sich an Hand von Fragen mit den Frauen und ihrer Situation auseinandersetzen. Vorgestellt wurde dies in kreativer Form, durch einen Brief, einen Dialog oder ein Interview oder eine Reflexion. Für viele Teilnehmer war dies überraschend, wurde aber mit Begeisterung aufgenommen, auch die Diskussionen in den Gruppen waren sehr lebendig.
Treffen der Jugendlichen
In Zuge der Vorbereitung des Kirchentages hatte es bedenken gegeben, ob auch wirklich alles umgesetzt werden kann, wie es mit dem Essen und den Unterkünften klappt und ob auch genug Gemeinden ihre Gemeindemitglieder motivieren können. Doch im Nachhinein war die Veranstaltung ein großer Erfolg. Es waren mehr als 200 Menschen da, was für ILCH und die riesigen Entfernungen zu einigen Gemeinden eine große Anzahl ist. Die Unterkunft in der dt. Schule war gemütlicher als erwartet. Die für die Organisation der Veranstaltungen Verantwortlichen waren in allen Dingen hilfsbereit und haben mir jede Bitte erfüllt. Es gab sogar wunderschöne lila-gelbe Schals, wie man auf Fotos erkennen kann.
Vielleicht hätte man noch mehr Menschen aus anderen Kirchen oder aus der Stadt einladen können.

Für mich war der Kirchentag eine weitere Gelegenheit die ILCH und ihre Gemeindemitglieder besser kennen zulernen und Kontakte zu knüpfen. Ich habe mir vorgenommen wegen der Jugendarbeit mehr Kontakt zu den Gemeinden im Süden zu halten, weil ja viele der Jugendlichen zum Studium in die Hauptstadt ziehen. Es nicht leicht diese zu motivieren, weiter in Kirche aktiv zu sein. Das Leben als Student in Santiago ist eben, ein ganz anderes als Schüler in der dt. Schule in einer kleinen Stadt zu sein, wo man in der Gemeinde mit seinen Freunden zusammen ist.
die Teilnehmer
Außerdem habe ich endlich Kontakt zur Frauenarbeit geknüpft und werde am 10. November zu einem Treffen aller Frauengruppen in Temuco fahren. Dort soll ich die Andachten aus Taizé noch einmal vorstellen. 
(Die Fotos sind nicht von mir, sondern von David Gysel, einem Fotografen und Sohn einer der Pfarrer.)