Dienstag, 29. Mai 2012

Besuch in der "ONAR"


Gestern hatte ich die Gelegenheit die Schaltstelle zwischen chilenischer Regierung und allen Religionen, die in Chile praktiziert werden, kennenzulernen. Eigentlich wollte ich wissen, wie die Bedingungen und Voraussetzungen sind, die man braucht, um Religionsunterricht in chilenischen Schulen erteilen zu können. Viele Pfarrer hier sind auch Religionslehrer oder gehen noch einem anderen Beruf nach. Mein Mentor hatte mir empfohlen Juan Wehrli, den berühmtesten Lutheraner Chiles zu kontaktieren. Er ist Historiker und Politiker und war zudem Pfarrer in der ILCH gewesen. Seit 2010 kümmert sich um alle Angelegenheiten zw. Staat und den Religionen. Als Reaktion auf meine Anfrage in Sachen Religionsunterricht erhielt ich gleich eine Einladung, sein Büro und seine Aufgaben kennenzulernen. Die „ONAR“ (Oficina Nacional de Asuntos Religiosos = Nationales Büro für religiöse Angelegenheiten. In Chile gibt es so viele herrliche Abkürzungen) liegt nur einen Katzensprung vom Präsidentenpalast entfernt. Für mich war es sehr spannend jemanden kennenzulernen, der für eine Regierung arbeitet.
Der Präsidentenpalast "La Moneda"
Juan Wehrli und sein Büro stehen in Kontakt mit den Vertretern aller Religionen hier in Chile, aber auch mit den einzelnen Mitarbeitenden und Verantwortlichen in den religiösen Gemeinschaften. Er nimmt repräsentative Aufgaben wahr, klärt Anfragen und Unsicherheiten in gesetzlicher Hinsicht, diskutiert und nimmt die Meinungen der einzelnen Religionen wahr. Als die Regierung das Gesetz zur Antidiskriminierung beschloss, wurden zum Beispiel alle Vertreter der Religionen eingeladen, um das Gesetz vorzustellen und die Vertreter hatten die Gelegenheit ihre Anfragen und Kritik zu äußern.
Juan Wehrli betonte besonders, dass Chile ein laizistischer Staat ist. Darüber hatte ich mir bis dahin gar keine Gedanken gemacht. Denn Chile ist ja ein sehr religiöses Land. Noch immer sind ca. 67% der Einwohner Katholiken und auch wenn deren Zahl abnimmt, so steigt die Zahl der Protestanten derzeit ca. 15%, darunter viele Freikirchler und Angehörige der Pfingstbewegung. Weil das Katholischsein aber nicht mehr selbstverständlich ist, ist es wichtig, dass Religion und Staat getrennt sind, damit sich niemand bevor- oder benachteiligt fühlt. Da die evangelischen Kirchen an Bedeutung gewinnen, hat der derzeitige Präsident 30 Vereinbarungen mit den Evangelischen Kirchen getroffen und will diese nun umsetzen. Auch hier spielt die „ONAR“ eine wichtige Rolle bei der Vermittlung und Ausführung dieser Bestimmungen.
Juan Wehrli ist eigentlich Presbyterianer und Calvinist, wie er selbst sagt und dabei großer Fan von Max Webers Theorie des Einflusses des Protestantismus auf den Kapitalismus. Seiner Meinung nach steht Chile wirtschaftlich gar nicht so schlecht dar, weil es doch einen gewissen protestantischen Einfluss gibt. Der Protestantismus, so Wehrli würde die Menschen viel mehr zur Verantwortung für ihr eigenes Leben und Wohlergehen erziehen, während der Katholizismus ihnen diese Verantwortung abnimmt. Das Desinteresse an Eigenverantwortung wäre darum auch immer noch groß in Chile, auch wenn sich dies durch die evangelischen Kirchen ändert. Leider würden aber viele Pfingst- und Freikirchen nicht zum eigenständigen Denken anregen und bei einem Autoritätsdenken haften bleiben. Eine extreme These, die zur Diskussion und einen genaueren Blick einlädt.
Und wie steht es nun mit den Möglichkeiten Religionsunterrichts zu erteilen? - Bis 2014 wäre das aufgrund meines Studiums und meiner Arbeit in einer Kirche, durch Erlaubnis der Kirche und den Erhalt eines Zertifikats möglich. Ab 2014 ändern sich die Bedingungen. Dann müsste ich, wenn ich es richtig verstanden habe, ein abgeschlossenes Pädagogikstudium in Grundschullehramt, oder auf dem Weg hin zu einem Pädagogikstudium sein. Leider war mir nicht klar, ob es sich dabei„nur“ um ein Studium der didaktischen und pädagogischen Kenntnisse handelt oder ob ich auch ein Studium der Grundfächer absolvieren müsste. Mein Mentor erzählte mir, dass der Termin der neuen Bedingungen immer wieder verschoben wurde. Ich bin gespannt und werde mich wohl auf die Suche nach Unis begeben müssen.

1 Kommentar:

  1. Ich hoffe, Du bekommst es hin, Reli unterrichten zu können!!! Gruß nach Chile, Enno

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